Tiefengeothermie: Schlüssel zur klimagerechten Portfolioentwicklung
Erst die Not bringt die Lösung ans Licht: Der kostengünstige Einstieg in die Nullemissions-Strategie für die Portfolios der deutschen Immobilienunternehmen steht auf festen und belastbaren Füßen und kann langfristig sogar für sinkende Heizwärmekosten sorgen. Die notwendigen Investitionen finden statt, wenn Wohnungsunternehmen aktiv werden und beginnen, ihre Portfolien durch neue Nahwärmeansätze auf Tiefengeothermie-Basis selbst zu dekarbonisieren. Die Fraunhofer-Gesellschaft und das GFZ in Potsdam rollen nun jahrzehntelang erfahrenes Wissen aus; Wärme aus der Erde wird im Gigawattmaßstab nutzbar werden. Fachkräfte aus der Öl- und Gasindustrie könnten mit anpacken.
Mit dem geplanten Aus für die Kohlekraftwerke verlieren viele Stadtwerke die wichtigste Wärmequelle für ihre Fernwärmenetze. Der Ausweg aus dem Dilemma führt 4.000 Meter tief ins Erdreich. Neben der Heizwärme wird parallel wertvolles Lithium gefördert, welches der deutschen Batterieindustrie zugeliefert werden kann. Transportkosten z. B. aus Chile können wegfallen. Die Wärme im Untergrund bietet Potenzial für mindestens 70 Gigawatt installierte geothermische Leistung, was 25 Prozent des Gesamtwärmebedarfs Deutschlands entspricht. Langfristig kann die tiefe Geothermie in der volkswirtschaftlichen Bedeutung quantitativ zur Windkraft aufschließen. Die Helmholtz-Gemeinschaft will dazu strategisch vorgehen und die aktuellen Umsetzungs-Förderungen nutzen.
Wärme macht mit 1.400 Terawattstunden 56 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland aus. Ökostrombetriebene Wärmepumpen aus oberflächennaher Geothermie in Haushalten allein sind kein kompletter Ersatz für Kohle-Fernwärme und für das Erdgas, das den Energiemix längerfristig ebenfalls verlassen soll. Pellet- und Hackschnitzelkonzepte werden ebenfalls langfristig nur mit 1 % zur energetischen Grundversorgung beitragen können. Grüner Wasserstoff wird der Industrie vorbehalten sein, die ansonsten kaum Alternativen für Produktionsprozesse im hochkalorischen Bereich hätte.
Der GFZ-Forscher Professor Ernst Huenges, Mitherausgeber neben Professor Rolf Bracke von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG), sagt: „Die Klimaneutralität des Wärmemarktes zu erreichen, ist eine riesige Herausforderung und erfordert ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Marktakteure wie Energieversorger, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen brauchen neue Instrumente für diese komplexe Umsetzungsaufgabe.“
Krieg um fossile Energien, Frieden zuhaus
Kein Verkäufer bimmelt mit der Messingglocke für die heimische Tiefenenergie. Keine Lobby weit und breit wie bei Öl, Gas & Co. Den Kampf um demokratische Wahlen und die Erpressung durch Despoten aus diktatorisch-autokratischen Produzentenstaaten kennt die Welt seit der Entdeckung der Kohle. Heiße Kriege finden bis heute statt. Ab 1973 wurde dies zur Quelle einschneidender Erlebnisse in Deutschland, die bis heute anhalten; ja sich sogar tagesaktuell verschärfen. Bis 2030 müssen nach Berechnung der Forschungsgruppe mindestens 2.000 Bohrungen bis in mehrere tausend Meter Tiefe hinzukommen, bis 2050 mindestens 3.000 weitere. Erzeugerländer sollten sich langsam fragen, wie sie sich langfristig mit der Kuh arrangieren, die ja mit deren Bodenschätzen so lange trefflich zu melken war. Weiter konfrontieren oder klimafreundliche Partnerschaften suchen? Weiter auf die Exportfähigkeit langfristig in diesen Mengen nicht mehr benötigter Ressourcen setzen oder die Kooperation mit Dekarbonisierungs-Profis aus Deutschland suchen?
Frühere Annahmen, es gäbe nur eingeschränkte Ressourcen für Tiefengeothermie, waren falsch. Teure und tiefe Bohrungen über 4.000 m wurden großflächig-initiativ gescheut. Nun zeigt sich die Konsequenz der Geophysik an unglaublichen Erfolgsstories, nachdem mutige Wissenschaftler auch in Berlin und Brandenburg, in Südwestdeutschland und an anderen Orten belastbare Daten gesammelt haben: 3 Grad Celsius steigt die Erdtemperatur je 100 m Tiefe an. 30 Grad Celsius in 1.000 m Tiefe klingen für unsere aktuellen Hochtemperatur-Netze nicht verführerisch; belegen eher problematische Umsetzungen im Bestand. Doch 120 Grad in 4.000 m Tiefe werden nun auch in der Schorfheide, im Berliner Stadtgebiet, in Stuttgart und an anderen Orten “schürfbar”. Die zutage geförderte Sole beinhaltet auch in Brandenburg bis zu 120 g Lithium je Liter gefördertem Wasser. Das kann dann gleich zu Elon Musk nach Grünheide.
Es mangelt nicht an Geld. Die verlockende Verzinsung von z. B. 5 % lockt taxonomie-orientierte Anleger dazu, Hunderte von Milliarden € locker zu machen. Klar ist, dass dies die “Stakeholder” aus der Öl-, Gas- und Kohleindustrie nicht amüsiert. Aber das kennen wir bereits von erfahrenen Reaktion der abgesägten Atomlobby, die ja lange Jahre auf prall gefüllte Fördertöpfe setzen konnte und sich einen Teufel um die Entsorgung und deren Kosten schert. Zusätzlich könnte das jährliche Tiefengeothermie-Volumen der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) auf deutlich über eine Milliarde Euro erhöht werden. Zudem könnte eine Fondslösung finanzschwachen Kommunen die Möglichkeit geben, sich gegen finanzielle Risiken abzusichern. Denn ein Restrisiko besteht: Wird kein Wasser gefunden, so wird die Erschließung der Tiefenwärme ungleich teurer.
Zunächst müssten aber der politische Wille formuliert und dies zur Rückgewinnung verlorenen Vertrauens in Regierungshandeln regulativ untersetzt werden. Dazu zählten klar ausgeforschte Zielanalysen, beschleunigte Bewilligungsverfahren, die Ausweisung von Vorzugsflächen in der Raumordnungsplanung der Länder und in kommunalen Flächennutzungsplänen. Zu prüfen ist auch, wie und in welchem Umfang verschiedene Gesetze angepasst werden müssten, darunter das Bundesberggesetz, das Wasserhaushaltsgesetz und das Gebäudeenergiegesetz. In Berlin muss zudem die empfindliche Rupelton-Schicht durch exakte DIN-Verfahren beim Bohren, Verrohren und Abdichten geschützt werden. Doch dazu gibt es jahrzehntelange Erfolgsgeschichten wie etwa am Reichstags-Gebäude.
Erschließung volkswirtschaftlich-strategischen Nutzens durch die Wohnungswirtschaft
Aktuell wird eine Grundlage für Investitionen und Technologien geschaffen, mit denen die tiefe Geothermie in Deutschland von wenigen Einzelprojekten auf lokaler Ebene auf eine bundesweite großindustrielle Ebene steigen kann. Wohnungswirtschaft aufgepasst: Hochtemperatur-Wärmepumpen, Großwärmespeicher und der „Ausbau von transkommunalen Verbundwärmenetzen“ fließen in die Portfolio-Bilanzen der Wohnungsunternehmen, in die DNK-Bilanz mit ein und sorgen langfristig zu Nullemissions-Grundlagen. Dies ist eine große Herausforderung, aber auch ein belastbar umsetzungsfähiger Ansatz zu Nullemissions-Quartieren. Die positive Konsequenz: keine CO2-Belastungen der Heizwärme mehr, bessere Gebäudeenergie-Werte, deutlich geringere Kosten durch Unabhängigkeit von ausländischen Fossilenergie-Lieferanten, eine – in diesem Importwert – um 25 % entlastete Volkswirtschaft und Millionen to eingesparter CO2-Belastungen für unsere heimische Bilanz.
Der nachhaltige Ausbau von Geothermie ist eine Investition in die Städte unserer Zukunft“, sagt Professor Ingo Sass, Leiter der Sektion „Geoenergie“ am GFZ. „Die Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft tragen mit ihren strategisch ausgerichteten Arbeitsprogrammen und ihren einzigartigen Forschungsinfrastrukturen wie beispielsweise dem zukünftigen Untertage-Forschungslabor GeoLaB maßgeblich zum Gelingen der Transformation bei“, so Sass weiter.
Damit längerfristig genügend Fachpersonal bereit steht, müssen bildungspolitische und wirtschaftsfördernde Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Beispielsweise in Form überbetrieblicher Ausbildungszentren und durch die Anpassung von Lehr-Curricula. Benötigt werden hier geschätzt fünf bis zehn Fachleute je Megawatt installierte Leistung. Hallo Abitur-Abgangsklassen: den Klimawandel durch Naturwissenschafts-Studieninhalte unterstützen? Ein wenig weniger Internet, ein wenig mehr Klimawandel? Wie klingt das?
Zur sofortigen Umsetzung können insbesondere die europäische Öl- und Gasförderindustriefirmen eingebunden werden, deren Explorationsmethoden und Technologien denen der Geothermie ähneln. In Deutschland sind die beiden Branchen teils bereits gemeinsam organisiert im Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie.
Negative Schlagzeilen hatte die Geothermie 2007 im Schwarzwaldstädtchen Staufen gemacht, wo nach einer vergleichsweise oberflächennahen Bohrung Wasser in eine Anhydrit-Schicht eindrang – das Material quoll auf, im historischen Ortskern hob sich stellenweise der Boden, Wände bekamen Risse, Gebäude mussten abgerissen werden. Hier spielte aber auch kriminelle Energie eine Rolle. Unter Fachleuten gelten solche Schäden bei korrekt durchgeführten Tiefbohrungen – nach DIN und nach formal umgesetzten Antragsverfahren über die oberen Bergbaubehörden – als äußerst unwahrscheinlich. Auch Grundwasser für die Trinkwasserversorgung oder befürchtete “Verquirlung” von salzwasserführenden mit trinkwasserführenden Schichten – darum sorgte sich beispielsweise der Senat von Berlin, als dort Geothermie für die kommunale Wärmeversorgung zur Debatte stand – werde nicht beeinträchtigt. Tiefbohrungen zapfen normalerweise Reservoirs weit unterhalb der Schichten an, aus denen Trinkwasser gewonnen wird.
Investitionsbedarf in dreistelliger Milliardenhöhe
Keine Herausforderung bei einem systematischen und ambitionierten Ausbau der tiefen Geothermie sind die Investitionskosten. Um das hydrothermale Potenzial für 70 Gigawatt Leistung zu erschließen, wäre nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine dreistellige Milliardensumme vonnöten. Ein Bruchteil dessen, was in fossile oder alte kernenergetische Märkte fließt.
Ein solcher Einsatz würde sich allerdings zweifach lohnen. Mit steigendem CO2-Preis wird Geothermie im Vergleich zum fossilen oder atomaren Erzeugeransatz immer wirtschaftlicher. Mit dem Ausbau der Geothermie wird nicht nur der Bedarf an viele Milliarden teuren Erdgasimporten sinken. Einmal gebohrt, immer geerntet. Keine Folgekosten für Heizwärme-Quellen, keine Folgeschäden für die Umwelt. Im Gegenteil. Man tut volkswirtschaftlich gut daran, früh in diese Technologie zu investieren, um uns volkswirtschaftliche Beinfreiheit und Unabhängigkeit von Erpressern zu verschaffen.
Der Wortlaut des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und FDP zumindest spricht dafür, dass die Verfechter der tiefen Geothermie bei der Bundesregierung Gehör finden dürften. Gleichzeitig können Beispiele für den ländlichen Bereich zur Entstehung von Wärmeinseln bis in die Dörfer hinein entstehen, etwa im Rahmen der aktuell laufenden Verfahren zur Optimierung dörflicher Gemeinden. In diesem Koalitionsvertrag steht geschrieben, man werde sich für eine „flächendeckende kommunale Wärmeplanung und den Ausbau der Wärmenetze“ einsetzen. „Wir streben einen sehr hohen Anteil Erneuerbarer Energien bei der Wärme an und wollen bis 2030 50 % der Wärme klimaneutral erzeugen”.
Schönen Gruß, Herr Habeck: Wir schaffen sogar mehr als diese benannten 50 %, sparen Millionen to CO2 fürs Klima und unsere nationale Bilanz, fördern nachhaltige DNK-Berechnungen und drücken die Erzeugerkosten. Ja, drücken. Nicht erhöhen.
Eine solche Zielstellung muss verkündet und mit belastbaren Szenarien untersetzt werden. Ja, unsere Heizenergie-Produktionsstätten werden durch zigtausende kleine Container ersetzt, die die neuen Tiefengeothermie-Netze optisch in der Landschaft sichtbar machen. Dezentral, von Energiegenossenschaften mit Beteiligung der Bürger und der Immobilienwirtschaft finanziert; von grünen Anlagestrategen gefördert. Die Zukunft kann kommen. Entscheidender Marktplayer zur Umsetzung: die Wohnungswirtschaft und die Mieter.
Quelle: Susanne Ehlerding, Der Tagesspiegel 02.02.2022, Karlsruher Institut für Technologie KIT Pressemitteilung 08/22