Ausweg aus dem Vermieter-Mieter-Dilemma
Aus der DW 07/2021
Über Digitalisierung wird viel gesprochen. Die Frequenz eG hat in Kooperation mit drei Wohnungsunternehmen gehandelt: sie entwickelte ein System, das die Heizkosten ohne Komfortverlust verringert und es den Vermietern erlaubt, über die Verbrauchsdaten der Mieter zu verfügen.Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Da gibt es eine Lösung, die den Energieverbrauch von Wohngebäuden vermindert, den CO2-Ausstoß reduziert und die Mieter finanziell entlastet. Gleichzeitig kann der Vermieter seine Kosten voll auf die Miete umlegen.
Darüber hinaus profitiert er auch noch davon, dass er die Kontrolle über die Verbrauchsablesung und damit über die Daten gewinnt. Mit anderen Worten: Mieter, Vermieter und Umwelt – sie alle profitieren von dieser Lösung.
Dieses Modell entwickelt und in der Praxis getestet hat das in Potsdam ansässige BBU-Mitglied Frequenz eG., zusammen mit drei Wohnungsunternehmen in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie einem Gewerbecampus in Berlin. Das Projekt „WohnZukunft: Digital gestützte energieeffiziente Prozesse im wohnungswirtschaftlichen Quartier“ wurde gemeinsam durchgeführt. Für dieses Modellprojekt der Digitalisierung mit geringinvestiven Maßnahmen sind die Beteiligten mit dem DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft 2021 ausgezeichnet worden.
Wie die Mieter profitieren
Beteiligt am Projekt waren die Arbeiter-Baugenossenschaft Paradies e.G. (ABG Paradies) in Berlin, die Genossenschaftliche Wohngemeinschaft Lübben eG (GWG Lübben), die Wohnungsbaugesellschaft der Lutherstadt Eisleben mbH und die Campus Berlin-Buch GmbH. Umgesetzt wurde es vom eigens für das Projekt gegründeten Verein Green with IT e. V., dem rund 20 Unternehmen angehören und der nach eigenen Angaben „die Implementierung disruptiver Lösungen zur nachhaltigen Verbesserung der Energieeffizienz“ anstrebt.
Was aber bedeutete das Projekt für die Mieter der insgesamt 330 beteiligten Wohnungen, die den zwischen 1955 und 1980 errichteten Gebäudebestand repräsentieren? Für sie war es mit äußerst geringem Aufwand verbunden, wie Jörg Lorenz, Vorstandsvorsitzender der Frequenz eG, sagt. „Die Mieter haben von unserem Projekt zunächst nur so viel gemerkt, dass ein Techniker fünf Minuten lang in ihrer Wohnung war und Sensoren installierte“, erklärt er. Die Folge war allerdings erfreulich: Die Wärmeverbrauchswerte und damit die Heizkosten sanken für die meisten Nutzer in erheblichem Umfang.
Zu verdanken ist dies Künstlicher Intelligenz. Denn die Sensoren merken, wann sich der Mieter in der Wohnung aufhält und wann nicht. Auf Basis dieser Angaben legen selbstlernende Algorithmen für jeden einzelnen Tag ein Bewegungsprofil an. „Bei regelmäßiger Abwesenheit senkt das System die Raumtemperatur um 4 ºC, wobei es von der vom Mieter selbst eingestellten Wohlfühltemperatur ausgeht“, erklärt Lorenz. Wenn sich der Nutzer der Wohnung also für eine Grundtemperatur von 21 ºC Grad entschieden hat, reduziert sich die Temperatur während der Abwesenheit auf 17 ºC. Dabei sinkt sie nie unter 15 ºC. Das Ergebnis ist beachtlich: Laut Evaluationsbericht verringern sich dadurch der Wärmeverbrauch und die Heizkosten um 20 bis 30 %. Voraussetzung dafür ist allerdings ein regelmäßiger Tagesrhythmus der Bewohner.
Konzipiert worden ist das System von den Technik-Mitgliedern des Vereins selbst. „Wichtige Parameter waren am Markt nicht verfügbar“, berichtet Lorenz. „Wir wollten eine Lösung ohne Kabel und Batterien, bei der der Mieter nichts programmieren muss und weiter ganz normal das Heizkörperthermostat betätigen kann.“
Keine Kosten für Vermieter
Der besondere Charme für den Vermieter liegt darin, dass er die Kosten für die Technik mit den gesetzlich zulässigen 8 % jährlich auf die Miete umlegen kann. „Aber auch für den Mieter rechnet sich das System sehr schnell“, sagt Lorenz. Das verdeutlicht er an folgender Kalkulation: Die Installationskosten betragen nach seinen Angaben 10 €/m2, was bei einer 60 m2 großen Wohnung 600 € bedeutet. Die Umlage (8 %) macht somit jährlich 48 € aus. „Gleichzeitig spart der
Mieter aber mindestens 20 % der Heizkosten, was bei jährlichen Heizkosten von 400 € bereits 80 € ausmacht.“ Für Lorenz steht deshalb fest: „Mit unserer Lösung weisen wir einen Weg aus dem Vermieter-Mieter-Dilemma.“
Unterjährige Erhebung des Wärmeverbrauchs
Die Steuerung der Heizung in der Wohnung über Algorithmen ist aber nur einer von mehreren Bausteinen des preisgekrönten Projekts, das bereits 2019 mit einem dritten Platz bei den Zukunfts-Awards des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) ausgezeichnet worden war. Ein weiterer Baustein ist laut Lorenz der Aufbau einer digitalen Infrastruktur, die mit den Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konform ist. Diese Infrastruktur ermöglicht es, die Brenner von Heizungsanlagen so einzustellen, dass ein weiteres erhebliches Einsparpotenzial gehoben werden kann. „Das den Anforderungen des IT-Grundschutzes des BSI entsprechende Gateway ermöglicht die unterjährige Erhebung des Wärmeverbrauchs“, erläutert Lorenz. „Algorithmen binden weitere Informationen, wie zum Beispiel die Wetterprognose, ein und stellen die Heizlast entsprechend ein.“ Auf diese Weise lässt sich den Angaben zufolge eine Einsparung des Wärmeenergieverbrauchs von 5 bis 15 % erreichen.
Das BSI-konforme Gateway hat einen weiteren Vorteil, den Lorenz nur beiläufig erwähnt, der aber in der Konsequenz eine ganze Branche in Bedrängnis bringen und umgekehrt der Wohnungswirtschaft ein neues Geschäftsmodell erschließen könnte: die digitale Autarkie der Wohnungsunternehmen. „Der Vermieter kann Erfassung und Abrechnung des Wärmeverbrauchs in die eigenen Hände nehmen“, erläutert Lorenz. „Damit kommen die Messdienstleister in Erklärungsnot, was ihre hohen Kosten betrifft.“
Visualisierung auf dem Smartphone
So richtig wirkungsvoll wird die unterjährige Verbrauchserhebung aber erst, wenn der Mieter seinen Verbrauch zeitnah erfährt und gegebenenfalls sein Verhalten verändern kann. Ein weiterer Teil des Projekts war es deshalb, die Daten des Submeterings individuell auf den Smartphones der Mieter zu visualisieren. Dies erfolgt über eine App. „Es ist uns gelungen, die Visualisierung so präzise vorzunehmen, dass es keine Abweichung von der späteren Nebenkostenabrechnung gegeben hat“, freut sich Lorenz. In diese App lassen sich zudem weitere Dienstleistungen wie zum Beispiel Lieferdienste integrieren, womit das Modell eine Alternative zu im Ausland ansässigen Anbietern schafft. Finanziell gefördert wurde das 2016 gestartete Projekt „WohnZukunft“ von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW). Im Jahr 2020 wurde es abgeschlossen. Damit ist es aber nicht etwa ausgelaufen – ganz im Gegenteil: „Jetzt“, betont Jörg Lorenz, „wird es als Geschäftsmodell weitergeführt und steht jedem Wohnungsunternehmen offen.“
Den Original-Artikel schrieb Christian Hunziker für die DW (Haufe-Verlag), Heft 07/2021