Neue Wärmewende: Erstmal tut´s weh

Nach mehr als zwei Monaten Krieg in der Ukraine stellen wir fest, dass sich Wissenschaft und Politik mit ersten validen Reaktionen auf die erkennbare Schieflage bei der Wärmeversorgung von Wohnbauten melden. ESG, CO2-neutrale Quartiere, Substitution der fossilen Energieträger und deren Umsetzung im Bestand sind die schwersten Brocken, die die Wohnungswirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu bewältigen hatte. Brutal schwierige Aufgaben im kurz- und mittelfristigen Bereich, gute Aussichten für die Langfrist-Betrachtung. Die Berliner Energietage haben die Stakeholder aus Wissenschaft und Politik zu Wort kommen lassen. Am Horizont tauchen konkrete Handlungsrahmen auf, die aber die Schmerzen der kurzfristigen Geburtswehen einer neuen Quartiergestaltung nicht mindern.

Die wichtigste politische Aussicht gab Staatssekretärin Dr. Rodoula Tryfonidou vom BMWK in der Veranstaltung am 04.05. 2022 „Wärmepumpen urban gedacht – Energieforschung für die Wärmewende“. Sie kündigte ein zügige Anpassung aller erforderlichen Gesetze an, um überholte Anreize und Schwerpunkte nun voll auf die Transformation der fossilen Wärmeerzeugung hin zu klimaneutralen Quartieren zu fokussieren. Dies betrifft sowohl Fernwärme als auch Eigenerzeugung in den Wohnungsunternehmen.

Vorab hatte Dr. Ingrid Vogler in der GdW-Veranstaltung am 02.05.2022 die katastrophalen Aussichten auf die Bewältigung der kurzfristigen Aufgaben beschrieben und klargestellt, dass die Masse der aktuell noch öl- und gasbetriebenen Erzeugeranlagen ja nicht von heute auf morgen ersetzt werden können.

Quelle: Dr. Infrid Vogler, GdW und BDEW, Berliner Energietage 2022

Auch mittelfristig ist noch nicht abzusehen, wie hybride Erzeugeranlagen, sprich der Teilersatz der vorhandenen Anlagen funktionieren soll. Abschreibungen teils ganz neu erstellter Gas-Anlagen machen viele hundert Mio. € aus. Fachpersonal für die Umsetzung in den Quartieren ist Mangelware, grüner Wasserstoff kein Königsweg mangels Verfügbarkeit und Industrie-Priorisierung.

Quelle: Prof. Ingo Sass, Helmholtz-Gesellschaft/GFZ Potsdam Vortrag 02.05.2022 Berliner Energietage

So stellte sich zunächst die Frage: welcher zusätzlicher regenerativer Stoff steht – ergänzend zu den bereits verfügbaren Wind- und Solareinträgen – prinzipiell zur Verfügung? Wie soll die Substitution von 788 TWh/a für Heizwärme und Warmwasser in der Praxis stattfinden? Welche belastbaren Kalkulationen sind erkennbar, wer sind die Player, welches sind die erkennbaren Barrieren?

Die Prioritäten wurden schnell klar: ganz weit oben im Handlungsrahmen steht – schon aus Gründen der dauerhaft verfügbaren schier unerschöpflichen Mengen – die Tiefengeothermie. Hingegen bringen Pellet-Feuerung (Feinstaub, schwer zu handhaben), grüner Wasserstoff (vorrangig für die Zement- und Stahlindustrie), Holz- und Strohkraftwerke keine belastbare Mengen-Perspektive. Näher an der Praxis sind hingegen noch unausgeschöpfte Quellen aus „Kalter Nahwärme“, Wärmemengen aus Förder- und Schluckbrunnen, Wärmerückgewinnung aus den Lüftungshaushalten, oberflächennaher Geothermie und Abwärmemengen.

Letztere setzen sich aus der Nutzung von Wärme in Abwassersystemen, Rechenzentren und weiteren Quellen recht kleinteilig zusammen. Die Integration ist „Fleißarbeit“ und erfordert schnelles Umdenken der Infrastruktur-Akteure aus Fernwärme und kommunalem Abwassermanagement, aber auch kleinere dezentrale Abwärmequellen stehen zur Verfügung.

Die Wissenschaft stellte zur Tiefen-Geothermie eine erste belastbare Kalkulation und ein Mengengerüst zusammen, dass langfristig gute Aussichten auf umfassende Verfügbarkeit im eigenen Land verspricht und somit die schmerzliche Abhängigkeit von Importen nachhaltig abstellen wird: Mit Erzeugerkosten von € 25 – 30/MWh sind günstige und preisreduzierende Quellen langfristig verfügbar. Zum Vergleich: der BBU hatte bereits 2010 einen Preiskorridor von € 45 (Erkner) bis € 116 (Falkensee) in Berlin und Brandenburg ermittelt und in einer Preisdatenbank veröffentlicht.

Quelle: Prof. Ingo Sass, Helmholtz-Gesellschaft/GFZ Potsdam Vortrag 02.05.2022 Berliner Energietage

Der enorme Kapitalbedarf stellt kein Hindernis dar, stehen doch die Investoren Schlange, um 5-6% Rendite mit einem der sichersten Geschäfte im Kreditwesengesetz zu erzielen: Der Abrechnung „warmer Betriebskosten“. Ja, es sind viele hundert Milliarden EURO notwendig, um das erste Ausbauziel von 3000 Tiefbohrungen bis 2045 zu erreichen.

Quelle: Prof. Ingo Sass, Helmholtz-Gesellschaft/GFZ Potsdam Vortrag 02.05.2022 Berliner Energietage

Auch die Anpassungsstrukturen können aktuell nur im Streiflicht behandelt werden, da einige Komponenten noch einem Blick in die Glaskugel ähneln. Fakt ist aber, dass wir mit heimischen Ressourcen das ausspielen können, was unser Land ausmacht: Ingenieurwissen mit neuen Perspektiven verknüpfen und beispielgebend für die ganze Welt zeigen, was geht.

Quelle: Prof. Ingo Sass, Helmholtz-Gesellschaft/GFZ Potsdam Vortrag 02.05.2022 Berliner Energietage

Was hierzulande umgesetzt wird, ist Friedensenergie pur. Nach unseren Erfahrungen können andere Länder selbst daran gehen, deren eigene Ressourcen umzugestalten: Der dringend benötigte grüne Wasserstoff kann in vielen Ländern in großen Mengen produziert und anderen Ländern zur Verfügung gestellt werden. Kriegerische Begehrlichkeiten kommen dort nicht auf, wo alle Länder gleichermaßen teilhaben können.

Kriege um fossile Energien müssen nicht mehr geführt werden, wenn diese immer weiter in der Bedeutung absinken. Exakt das machen wir gerade vor: Mit Spannung werden die ersten BEW-Eckpunkte erwartet, damit die Rahmenbedingungen für Tiefengeothermie und andere neue regenerative Quellen nun priorisiert werden. Dann stellen sich nicht zuletzt viele Alltagsfragen nach Wissenstransfer in die Handwerkerschaft, die Industrie, den Ersatz hunderttausender fossiler Erzeugeranlagen, die Rahmenbedingungen für Contracting und Eigenfinanzierung, die Bundes-Bürgschaften für Fündigkeitsrisiken etc. Aber das Positive daran ist: Das Langfristziel passt! Wir können auf eine Substituierung von 50% aller Heizwärme-Aktiva allein nur aus Tiefengeothermie hinarbeiten. Andere fleißige Helfer kommen dazu. Die Wohnungswirtschaft kann hier als Mittler für Millionen Mietparteien voran gehen; auch kleine und mittelgroße Privatverbünde, dörfliche Erzeugergenossenschaften, Blockchain-Finanzierungsgemeinschaften für die Speicherbedarfe usw. können voll dabei sein.

Einer Zangenbewegung gleich werden nun die fossilen Heizenergiemengen mit zwei grob unterteilten Maßnahmen langfristig gegen 0 bewegt: von links werden die Effizienzmaßnahmen aus IoT, Smart Meter Gateways, Gateways und autarkem Submetring Einsparpotenziale bis zu 58% heben können:

Geprüfte wohnungswirtschaftliche Effizienz-Quotienten, Quelle: green with IT Pilotprojekte

Die rechte Zangenbewegung umschließt dann diesen fossilen Energieblock mit gebäudenah erzeugten Energien, die im GEG mit 0,00 kg als CO2-Gewichtsäquivalent angesetzt werden: PV-Module auf dem Dach unterstützen im Eigenbetrieb die eingesetzten Wärmepumpen aus Tiefen-Geothermie. Der eingesetzte Strom managt das „gap“ zwischen den eigentlich benötigten Vorlauf-Temperaturen und den meist niedrigeren Fördertemperaturen. Hinzu müssen Speicher dann letztendlich die ganzjährige Verfügbarkeit, speziell auch in den Wintermonaten garantieren. All das ist kein Hexenwerk. Wir können beginnen.

Zusammenwirken der linken und rechten Zangenbewegung, Quelle: green with IT

Das ist die Nachricht an die aktuell unfreundlichen Lieferanten fossiler Energien – auch mit Bezug auf alle anderen Bedarfsposten aus Industrie und Verkehr etc.: Langfristig findet die größte wirtschaftliche Wertschöpfung hier, in den demokratischen westlichen Ländern statt. Ihr konntet Eure fossile Energie jahrzehntelang auf friedliche und gut abgestimmte Art und Weise einem naiv-ehrlichen Absatzmarkt zuliefern, wir haben Euch dafür bezahlt und Eure Volkswirtschaften damit in Gang gehalten. Aber unterschätzt uns nicht! Wir sitzen am längeren Hebel! Wir werden Eure Stoffe, die unsere Wirtschaft benötigt hat und die unsere Volkswirtschaften so scheinbar langfristig in Gang hielten, durch eigene Stoffe ersetzen und auf Euch nicht mehr angewiesen sein. Klar, Öl und Gas werden wir auch später immer noch benötigen. Für Industrieprozesse und die letzten Verbrenner, die dann noch auf unseren Straßen fahren. Aber nie wieder in den Mengen, die Ihr so schön in Eure Wirtschaftsbilanzen einrechnen konntet. Sucht Euch andere Abnehmer, aber seid gewiss: Auch diese Länder werden unsere Erfahrungen beim umfassenden Ersatz fossiler Energien zur Kenntnis nehmen. Wir werden unser Know-How dorthin exportieren. Langfristig bleibt Euch dann nur noch der heimische Markt, doch der bringt keine Devisen……