So will die EU den CO2-Ausstoß bis 2030 halbieren: Fit for 55
Aus der Haufe Online-Redaktion
Europa soll bis 2050 klimaneutral werden. Das erste Etappenziel: Den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent drücken – Referenzjahr ist 1990. Gelingen soll das mit dem „Fit for 55“-Gesetzespaket der EU-Kommission. Die Immobilienbranche hat noch Verbesserungsvorschläge.
Die Europäische Kommission (EU-Kommision) hat am 14. Juli ein Klimapaket unter dem Titel „Fit for 55“ mit zwölf konkreten Vorschlägen vorgestellt, wie die EU die Netto-Treibhausgasemissionen (CO2-Ausstoß) bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 senken will. Es ist der erste Schritt hin zum klimaneutralen Europa bis 2050 – also Teil der Umsetzung des Projekts „European Green Deal“, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) im Dezember 2019 in Brüssel vorgestellt hatte.
„Europa lässt seinen Worten zur Klimapolitik Taten folgen durch Innovation, Investitionen und Sozialmaßnahmen“, sagte von der Leyen bei der Vorstellung des Klimapakets, um das die Europa-Beamten lange gefeilscht hatten. Die Kommission schlägt vor, acht Gesetze zu verschärfen und vier neue zu beschließen. Sie würden das Leben und Wirtschaften auf dem Kontinent verändern. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament müssen den Maßnahmen noch zustimmen. Im September sollen die Verhandlungen starten.
EU-Klimapaket „Fit for 55“: Das sagt die Wohnungswirtschaft
„Das EU-Klimapaket ist ein mutiger Plan mit vielen Ideen, wie man die Klimaziele auch tatsächlich erreicht. Er sollte allerdings offen sein für weitere gute und vielleicht noch bessere Ideen“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW.
Dass die EU eine Unterstützung für finanziell schwächere Haushalte vorsieht, die aus den Einnahmen eines Emissionshandels im Gebäudesektor finanziert werden soll, hält der GdW für einen guten Ansatz. „Wir brauchen ein neues, langfristiges Versprechen für bezahlbare Mieten, um die sehr ambitionierten Klimaziele beim Wohnen sozial verträglich umsetzen zu können“, so Gedaschko.
Kritisch sieht er die von der Kommission vorgeschlagene Ausgestaltung eines separaten EU-weiten Emissionshandel für Gebäude mit einer Preisobergrenze, die jährlich steigen soll. „Die Preisobergrenze ist entscheidend, um finanzielle und soziale Verwerfungen zu vermeiden“, sagte Gedaschko. Auch die Pläne, nach denen Wohnungen von kommunalen Unternehmen künftig den geplanten schärferen Anforderungen für Gebäude der öffentlichen Hand unterworfen werden sollen, sind für die Wohnungswirtschaft nicht nachvollziehbar.
Der GdW-Chef vermisst in dem EU-Paket zudem auch, dass eindeutige und praktikable Regeln für Strom, der vor Ort erzeugt und durch die Mieter innerhalb des Quartiers verwendet wird, fehlen, die Kommission aber umgekehrt mehr ordnungsrechtliche Vorgaben für den Gebäudesektor plant.
EU-Gesetzespaket: Das wird im Gebäudesektor teurer
Die weitreichenden Vorschläge aus dem „Fit for 55“-Paket für den Gebäudesektor werden Eigentümer und Mieter finanziell zu spüren bekommen. Gas und Öl etwa werden absehbar teurer, damit ein Anreiz geschaffen wird, zu klimaneutralen Heizungen wechseln. „Richtig ist vor allem, dass der CO2-Preis eine zentrale Rolle spielen wird“, kommentierte der für Verkehr, Bau und Wohnen zuständige Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, die Pläne.
Das nationale CO2-Bepreisungssystem für Wärme müsse aber mit dem neuen EU-Emissionshandel sorgfältig abgestimmt werden. Die Kosten für Wohnen dürften nicht von heute auf morgen nach oben schießen, ohne dass für einen angemessenen Ausgleich gesorgt werde. Auch die vorgeschlagene Sanierungsrate von drei Prozent für Gebäude dürfe weder Mieter noch Hauseigentümer überfordern. „Hier werden neue und finanziell verstärkte Förderprogramme benötigt, um die Verdreifachung der Sanierungsrate zu bewältigen“, sagte Lange.
Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA will sich im Legislativ-Verfahren für praxistaugliche, wirtschaftliche und technologieoffene europäische Regelungen einsetzen.
Bewertung des ZIA zu einzelnen relevanten Maßnahmen des Pakets
„Aufgrund der großen Auswirkungen auf unseren Wirtschaftssektor und damit auch auf das Leben von Millionen von Menschen, die in unseren Gebäuden wohnen und arbeiten, braucht es Lösungen, die gemeinsam mit der Wirtschaft entwickelt werden“, so ZIA-Präsident Andreas Mattner. Er bewertete einzelne konkrete Maßnahmen folgendermaßen:
- Emission Trading System – ETS: Die Einbeziehung des Gebäudesektors in ein separates europäisches Emissionshandelssystem sieht der ZIA als gute Herangehensweise. Auch die Reinvestition der zusätzlichen Einnahmen in Klimaschutzmaßnahmen ist richtig – hier muss aber darauf geachtet werden, dass die Einnahmen dem Sektor, dem sie entstammen und für den massiver Investitionsbedarf besteht, vollständig wieder zugute kommen.
- Renewable Energy Directive – RED: Der ZIA unterstützt das Ziel eines gemeinsamen Rahmens für die Förderung von Energien aus erneuerbaren Quellen. Maßnahmen müssen aber marktgerecht und auf die spezifische Situation des jeweiligen Gebäudes zugeschnitten werden. Auch die nicht unmittelbar gebäudebezogenen Träger erneuerbarer Energie müssen in die Bilanzierung einbezogen werden, etwa Solarstrom aus Photovoltaik-Anlagen im Quartier.
- Energy Efficiency Directive – EED: Energieeffizienz darf nicht der einzige Zielwert sein und muss laut ZIA im Zusammenhang mit der verstärkten Anrechenbarkeit und Nutzung erneuerbarer Energien gesehen werden. Besonders bei der nationalen Umsetzung müssen diese Faktoren Berücksichtigung finden. Unwirtschaftliche Anforderungen wären mit angemessener Förderung zu begleiten. Hierbei ist wichtig, keine beihilferechtlichen Hürden aufzubauen.
- Effort Sharing Regulation – ESR: Die Novellierung der Effort-Sharing-Richtlinie verteilt das neue europäische Klimaziel 2030 anhand der Leistungsfähigkeit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Deutschland wird daher besonders hohe Lasten tragen. Mit der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes wurde das deutsche Klimaziel für 2030 bereits deutlich angehoben. Vor diesem Hintergrund sind laut ZIA die Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit der zusätzlichen Investitionen besonders im Blick zu halten.
- Energy Taxation Directive – ETD: Bei der Ausgestaltung der neuen Energiesteuerrichtlinie muss aus immobilienwirtschaftlicher Sicht darauf geachtet werden, dass keine unangemessene Doppelbelastung durch Energiesteuern und CO2-Bepreisung erfolgt. Zu hohe Belastungen würden bei den Gewerbeimmobilien die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandort Deutschlands schwächen und das Wohnen weiter verteuern.
Wer soll das klimaneutrale Europa bezahlen?
Mit dem Sustainable Europe Investment Plan als Teil des European Green Deal (pdf) hatte die EU-Kommission Anfang 2020 festgelegt, aus welchen Quellen der enorme Kapitalbedarf von insgesamt rund einer Billion Euro für ein klimaneutrales Europa stammen soll. Knapp die Hälfte der Summe wird demnach aus dem EU-Haushalt kommen. Für die Mobilisierung der notwendigen öffentlichen und privaten Investitionen sollen Anreize geschaffen werden.
Alleine bis zum Jahr 2030 werden jährlich zusätzliche Investitionen von insgesamt 260 Milliarden Euro veranschlagt, heißt es in dem Papier. Im Gebäudebereich sieht die Kommission den größten Investitionsbedarf: Zusätzliche Investitionen in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro pro Jahr für Wohngebäude und weitere 75 Milliarden Euro für Gebäude der öffentlichen Hand und des Dienstleistungssegments müssten alleine für mehr Energieeffizienz in die Hand genommen werden.
Green Deal: Renovierungsquote im Gebäudesektor verdoppeln
Der Gebäudesektor spielt eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele. Alle Gebäude in der EU zusammen sind für 40 Prozent des Energieverbrauchs und für 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Die jährliche Renovierungsquote in den Mitgliedstaaten stagniert seit Jahren und liegt derzeit zwischen 0,4 und 1,2 Prozent. Das sei deutlich zu niedrig, so die EU-Kommission.
Mit einer „Renovierungswelle“ sollen die Sanierungen angekurbelt werden. Laut EU-Kommission ist mindestens eine Verdoppelung dieser Quote notwendig, damit die Energieeffizienz- und Klimaziele der EU bis 2050 erreicht werden können. In einem gemeinsamen Papier wiesen der europäische Vermieterverband Housing Europe und der Internationale Mieterbund IUT gemeinsam auf die enorme Bedeutung der im Green Deal und der geplanten Renovierungswelle vorgesehenen Maßnahmen für die Bezahlbarkeit des Wohnens in Europa hin und zeigten drohende Fallstricke sowie Lösungen auf, wie der Klimaschutz beim Wohnen bezahlbar bleiben kann.
Um Mieterhöhungen bis hin zur Verdrängung aus der angestammten Wohnung zu verhindern, müsse die EU den Green Deal und die Renovierungswelle so ausgestalten, dass Mieter bei energetischen Sanierungen von Einsparungen bei den Energiekosten profitieren und Vermieter beihilfefreie Zuschüsse erhalten, um die immensen Investitionskosten stemmen zu können, erklärte GdW-Präsident Gedaschko. „Wohnkostenneutralität sollte das Hauptprinzip des Green Deals der EU sein.“
Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA hatte im Januar 2020 für Gebäude und Anlagentechnik einen Investitionsbedarf von rund 100 Milliarden Euro jährlich bis 2030 errechnet – plus Mehrkosten in Höhe bis zu 34 Milliarden Euro pro Jahr – je nach Szenario und angestrebter Reduktion von CO2.